Träumebrunnen
„Es ist ein Flüstern in der Nacht,
Es hat mich ganz um den Schlaf gebracht;
Ich fühl’s, es will sich was verkünden
Und kann den Weg nicht zu mir finden.
Sind’s Liebesworte, vertrauet dem Wind,
Die unterwegs verwehet sind?
Oder ist’s Unheil aus künftigen Tagen,
Das emsig drängt sich anzusagen?
Theodor Storm
Die Installation ist eine überlebensgroße Plastik aus Beton und Wasser für den öffentlichen Raum
Die Maße sind ca. 3,5m x 3m
Erster Eindruck
Das riesige Betonobjekt in organisch-runder Form ist schwer und zugleich lebendig. Die weichen Wasserströme quellen wie kleine Quellen aus dem offenen Leib des fruchtbaren Samenkorns hervor. Das Fließen selbst ist ungleichmäßig und wie die Gezeiten wellenartig. In die Wassergeräusche mischen sich flüsternde Frauenstimmen. Die Stimmung ist weich und lebendig und zugleich geheimnisvoll aus der Tiefe kommend.
Beschreibung
Man sieht einen großen, grauen, ovalen Körper mit einer horizontalen schlitzförmigen weichen Einkerbung an einer Oberseite. Das Wasser strömt über den Rand der unteren Schale. Es ergießt sich unregelmäßig. Mit den Wassergeräuschen hört man flüsternde Stimmen.
Analyse
Das Gebilde ist oval und voluminös-wuchtig. Ein riesiger angeschwollender Körper. An der Oberseite ist eine schmaler Einkerbung. Man erkennt die Hohlform des Objektes, kann aber nicht ins Innere blicken, da Wasser aus der Unterschale hervorquillt. Unterstützt wird der hohle Eindruck durch die Stimmen, die aus dem Inneren flüstern. Die Skulptur steht wuchtig und selbstbewußt im Raum. Sie fügt sich nicht ein und verbindet sich nicht mit ihrer Umgebung. Sie steht für sich allein. Die Oberfläche des Objekts ist steingrau und uneben rauh. Wie aus Ton geformt. Bei Berührung ist sie kühl und hart. Das hervorströmende Wasser ist der weiche, weibliche Gegensatz dazu.
Interpretation
Das Werk zeigt das Wunder alles Lebendigen. Es wird aus einem Samenkorn geboren und zeigt überbordende Kraft, Vitalität und Weichheit. Wasser strömt endlos aus dem Gebilde wie aus einer geheimen Quelle. Alles an diesem Brunnen ist vital, pulsierend zwischen der unbewußten und intimen Nähe des Profanen und Alltäglichen in Form des Steines und der befremdlichen Entrücktheit des ästhetisch Erhabenen – dem Wasser. In Geplätscher, Rauschen und Gluckern strömt es über den runden Rand. Es mischen sich weibliche, flüsternde Stimmen. Der Betrachter hört nur die auf- und abtauchenden Wortfragmente.Es sind Schlaflieder und Gebete zur Nacht – meist aus der Kindheit.
Schlaflieder Die Vorstellung von Musik als Vorläufer der Sprache geht zurück auf den Vater der Evolutionstheorie, Charles Darwin. Die frühen menschlischen Äußerungen haben demnach vor allem zur Übermittlung von Emotionen gedient – gerade auch beim Aufwachsen. „Als wir gelernt haben aufrecht zu gehen, konnten wir die Babys nicht mehr mit uns herumtragen. Wir mussten unsere Babys ablegen, um unsere Hände benutzen zu können – die meisten Tiere tun dies nicht“, sagt Tainor. „Um mit dem Kind trotzdem in Kontakt zu bleiben, brauchte man etwas, um die Distanz zu überwinden – Proto-Musik konnte dies leisten.“ Babys können ihre Emotionen noch nicht selbst steuern. Ein Schlaflied kann dies. Wenn ein Baby hingelegt wird, kann ein Lied oder eben Babysprache eine akustische Verbindung weiter aufrechterhalten, die das Kind beruhigt. Und natürlich wird dieses Baby weniger wahrscheinlich anfangen zu schreien. In Urzeiten hätte das Babygeschrei vielleicht Raubtiere angelockt. Mit anderen Worten: Schlaflieder könnte die Chance zu Überleben deutlich erhöht haben.
Auch heute gehören Schlaflieder als Einschlafritual bei vielen Familien zur festen Abendroutine. Die Mütter beruhigen ihre Kinder durch sanftes Singen oder Summen – meist mit Erfolg. Das Geheimnis der Musik ist auch wissenschaftlich bestätigt: Schlaflieder berühren Kinder auf vielen Ebenen. Sie geben ihnen ein Gefühl von Vertrautheit, Sicherheit und Liebe. Sie kann nicht nur
Erinnerungen wachrufen und Schmerzen lindern, sondern dienen auch als Kommunikationsmittel um psychische Barrieren zu überwinden. Die Klänge wirken auf allen Ebenen des Gehirns
und haben einen direkten Zugang zu den Emotionen. Wiegenlieder sind zudem oft gleichbleibend und monoton mit einfachen Reimen. Diese helfen dem Kind zur Ruhe zu kommen und nicht zu viel Aufregung zu erzeugen. Ilse Weber (1903-1944) sang sogar die von ihr komponierten und gedichteten Wiegenleder mit Kindern im Ghetto Theresienstadt zur Gitarre. Sie ging mit Kindern der Krankenstation im KZ Auschwitz in den Tod. Häftlinge bezeugen, dass sie die Kinder in der Gaskammer mit ihrem Schlaflied Wiegala zu trösten versuchte.
Flüstern Die leisen Töne erzeugen für behagliches Gefühl. Von klein auf hat Flüstern auf den Menschen an diesen besonderen Effekt, denn Flüstern erinnert an frühere Zeiten
als Baby im Mutterleib. Dort hörte man Stimmen nur gedämpft. In unseren kulturellen Sphären dient Flüstern daher der Beruhigung oder als Ausdruck von Nähe und Geborgenheit. Der Klang der Privatsphäre. Kein Wunder also, dass der sanfte Sound auch in vielen Schlafzimmern regelmäßig zum Einsatz kommt. Schließlich gibt es wohl in Sachen Kommunikation kaum etwas Intimeres, als jemandem zärtlich etwas zuzuflüstern.
Einlullen jemanden einschläfern; jemanden durch ständiges Reden / Wiederholen gefügig machen; jemanden in Sicherheit wiegen; jemanden willenlos machen.
„Einlullen“ ist die Gefahr bei der Wirkung des Brunnens. Er könnte auf trügerische Weise sorglos machen. Ein schönes Beispiel finden wir bei Julius Friedrich Knüppeln: „… du
siehst nicht mehr bloß die feile niedere Bulerinn, die ihre Liebkosungen
jedem verschwendet, der sie erkauft, die mit dem einen Auge dir
liebkoset, und mit dem andern nach deiner Börse schielet; du hörst nicht
mehr den lezten schon erstikten Laut der Tugend, hörst nicht den
warnenden Freund, sinkest taumelnd in die Arme deiner Göttin, glaubst
dich von Liebesgöttern umflattert, von Amouretten eingelullt, und
schwelgst im Meer der Lust, bis du ermattet dem Schlaf in die Arme
sinkst“. Der Träumebrunnen mahnt dadurch an die Gegenseite des Schlafes – das Wachsein und die Aufmerksamkeit.
So spricht der Brunnen Tag und Nacht, von Weichem und Harten, von Schlaf und Wachheit, von Wohlgefühl und Gefahr, von Geborgenheit und Bedrohung und letztendlich von Schöpfung und Verderben.
Die Texte im Einzelnen:
Guten Abend, gut’ Nacht
Mit Rosen bedacht
Mit Näglein besteckt
Schlüpf unter die Deck’
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt.
Guten Abend, gut’ Nacht
Von Englein bewacht
Die zeigen im Traum
Dir Christkindleins Baum
Schlaf nun selig und süß
Schau im Traum ’s Paradies
Schlaf nun selig und süß
Schau im Traum ’s Paradies.
Volkspoesie geflüstert von Maria Gortner 2021
Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.
Kindergebet, geflüstert von Maria Lutsch 2021
Der Mond ist aufgegangen
Die gold‘nen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar.
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille
Und in der Dämm‘rung Hülle
So traulich und so hold
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Matthias Claudius, geflüstert von Christine Lutsch 2021
Die Sonne sank, der Abend naht,
Und stiller wird’s auf Straß‘ und Pfad,
Und süßer Friede Ruh‘ und Rast
Folgt auf des Tages Sorg‘ und Last,
Folgt auf des Tages Sorg‘ und Last.
Hoffmann von Fallersleben, geflüstert von Lydia Jedynak 2021
Müde bin ich, geh zur Ruh,
schließe meine Augen zu.
Vater, lass die Augen dein
über meinem Bette sein.
Luise Hensel, geflüstert von Martina Lutsch 2021